Auftraggeber: Fruitmarket Arts & Media GmbH
Entwicklung eines Narrative Games für Browser, VR-Installation, Website & Video-Archivs
Fruitmarket arbeitete schon länger mit dem international bekannten Theatermacher Milo Rau an seinem Großprojekt Das Kongo Tribunal – seine „bisher größenwahnsinnigste Arbeit“, wie es der TV-Sender arte ausdrückte. Thematisch ging es dabei um mehr als 20 Jahre Massenmord in der Demokratischen Republik Kongo mit über 6 Millionen Toten. Milo Rau gelang es erstmals Opfer, Täter, Zeugen und Analytiker des Kongokriegs zu einem einzigartigen zivilen Volkstribunal im Ostkongo zu versammeln. Dabei entwarf er ein unverschleiertes Porträt des größten und blutigsten Wirtschaftskriegs der Menschheitsgeschichte.
Für die Veröffentlichung des Kino-Dokumentarfilms über das Projekt betraute uns Fruitmarket mit der schwierigen Aufgabe, Milo Raus Werk ins Internet zu verlängern. Außer vagen Ideen, was man machen könnte, war uns schnell klar, dass dies ein Herzblutprojekt werden würde, bei dem die Ansprüche meilenweit hinter dem noch nicht vorhandenen Budget herhinken.
Zudem sollte eine Erzählung her, die gleichzeitig anschlussfähig zu den weiteren Werken zum Thema (Theaterstück, Buch, Dokumentarfilm, Kampagne) ist und sich trotzdem durch Eigenständigkeit auszeichnet. Und das alles in einem Themenkomplex, der schwieriger nicht hätte sein können: internationale politische Verwicklungen, viele Perspektiven und Akteure, Massenmord, Kapitalismus, stille Mitttäterschaft der Industrienationen sowie ein Künstlerteam über drei Länder verstreut. Alles in allem eine Web-Adaption für das „ambitionierteste politische Theaterstück, das jemals inszeniert wurde“ (The Guardian).
Um dem künstlerisch extrem herausfordernden und hochinterdisziplinären Projekt gerecht zu werden, luden wir zunächst zu einem Workshop ein, in dem wir vor allem Erwartungshaltungen transparent machten und den Projektkern herausarbeiteten. Dank des großen Vertrauens, das uns seitens der Verantwortlichen von Fruitmarket und Milo Rau entgegengebracht wurde, beschlossen wir, alle bisherigen Ideen über den Haufen zu werfen und einen komplett anderen Ansatz zu wählen: Das Leid spielerisch zugänglich zu machen. Wir entwarfen ein Videogame in der Machart einer düsteren Graphic Novel, in der Spielende aus Egoperspektive einen Teil der Geschichte selbst nachvollziehen konnten.
Eine Kernproblematik war bei der Umsetzung nicht etwa die Entwicklung des Games selbst, sondern die eurozentristische Interpretation von Geschehnissen in einem Land, was keiner von uns zuvor bereist hatte. Aus diesem Grund baten wir den kongolesischen Künstler und Polit-Illustrator Kayene mit uns das Spiel in unserem Kölner Studio zu gestalten.
Für die Entwicklung des Games selbst, setzten wir einmal mehr auf eine agile Vorgehensweise kombiniert mit rapid prototyping – unsere Projektpartner wie auch Milo Rau selbst bekamen nahezu wöchentlich spielbare Prototypen mit der Bitte um Feedback, welches wir direkt in die weitere Produktion einfließen lassen konnten. Als die Kernmechaniken und das erzählerische Gerüst Form angenommen hatten, erweiterten wir die Feedback-Schleifen um 20 bis 30 externe Tester.
Was uns über den gesamten Projektverlauf zugutekam, war die Tatsache, dass unser damaliges Kern-Team bei Monokel eine Reihe kulturwissenschaftlicher Kompetenzen mit sich brachte und auch durch die jahrelange Zusammenarbeit mit Vertreter*innen aus den bilden Künsten für derlei Entwicklung bestens aufgestellt ist.
Das frei verfügbare Web-Game Zeuge J verlängert die Inhalte des Kongo Tribunals in den digitalen Raum. Hier erlebt das Online-Publikum das „Nichtgesehene“ der untersuchten Fälle im Tribunal. Die Spieler übernehmen die Rolle eines Opfers des Massakers von Mutarule, nur eins von den vielen 600 Massakern, die 2014 im Kongo stattgefunden haben. Das Erkunden, die Erzählung und die Dokumentation sind gleichwertige Teile des Spiels. Verknüpft mit dem Web-Game führt ein umfassendes Online-Videoarchiv Informationsstränge, Anhörungen und Analysen zusammen und macht so das Gesamtprojekt weltweit im Web zugänglich. Das Projekt feierte auf der DOK Leipzig 2017 Premiere.
Ein Teil des Games wurde zusätzlich als mobile VR-Installation umgesetzt, die die Kinotour begleitete und dem Publikum einen immersiven Einstieg als Prolog in das Projekt ermöglichte. Bereits im November 2017 waren einzelne Erzählelemente des Kongo Tribunals in einer interaktiven Ausstellung in der Sektion DOK Neuland des DOK Leipzig 2017 zu sehen und zu erfahren.
Seit 2018 gastiert das Gesamtprojekt als Ausstellung in Kunsträumen, Museen und Festivals, wie etwa auf der Artefakt-Expo des STUK – House for Dance, Images & Sound in Leuven, im Stroom Den Haag, auf der CPH:DOX in Kopenhagen und auf dem European Media Art Festival in Osnabrück.
Aber machen Sie sich am besten selbst ein Bild davon: http://www.the-congo-tribunal.com/